1. Was hat Sie in Ihrem Beruf am meisten beeindruckt und geprägt?
Am nachdrücklichsten hat mich geprägt, wie sehr Existenzen in unserer Branche von den Launen der Natur abhängen. Ich erinnere mich noch gut, wie ich auf der Treppe in meiner WG in Geisenheim bei einer unserer legendären Partys saß und der Anruf meiner Mutter kam, dass die Weinberge gestern Nacht erfroren sind. Es war Mai `84. Ich war mir sicher, ich müsste mein Studium abbrechen; ich habe es dann doch aus eigener Kraft geschafft. In einem anderen Jahr gab es eine so große Menge, dass meine Genossenschaft Schwimmbäder anmieten musste, um den Wein unterzubringen. Zuhause haben wir ausgediente Teefässer gekauft und darin eingelagert was ging, um bildlich nicht in der Brühe zu ertrinken. Die Volatilität dieses Wirtschaftens hat mein Leben ziemlich mitbestimmt.
2. „Sie als Frau…“, war das in Ihrer Karriere ein Thema?
Persönlich hatte ich nie das Gefühl, dass ich „als Frau“ irgendwelche Nachteile erfahren hätte. Ich habe aber auch früh gelernt, mich zu wehren. Was mich allerdings insgesamt in der Branche immer gestört hat, war die Übermacht der Männer beispielweise in Gremien oder Verbänden. Da sind heute noch kaum Frauen zu sehen; die letzten 40 Jahre scheinen hier keine Spuren hinterlassen zu haben. Anfang diesen Jahres habe ich beim Durchblättern eines der einschlägigen Fachzeitschriften schier eine Schreikrampf bekommen. Auf der einen Seite war eine Runde mit Männern abgebildet, die ihre Jahresergebnisse zum Besten gaben, auf der gegenüberstehenden Seite waren Weinhoheiten in nett anzuschauender Runde zu sehen. Das ist symptomatisch für unsere Branche. Gott sei Dank hat sich zumindest auf Erzeuger*innen Seite einiges geändert.
3. Gehen Frauen anders mit dem Thema Wein um? Wie wichtig ist die Zielgruppe Frauen als Konsumentinnen Ihrer Meinung nach?
Alles über einen Kamm zu scheren ist immer schwierig und mitunter gefährlich, wenn man keine empirischen Erkenntnisse dazu hat. Wir bewegen uns in der Weinbranche oft im Bereich des Spekulativen. Aber ich denke schon, dass Frauen einen etwas anderen Zugang zum Thema Wein haben; einen emotionaleren. Da spielen Themen wie Stil, Genuss, Lifestyle und auch Leichtigkeit eine Rolle, wofür auch die junge Generation heute immer mehr steht. Beim „Mädelsabend“ wird Wein getrunken, beim „Jungsabend“ Bier. Die „Work-Life-Wine-Balance“: Karriere & Familie und mal nach dem Feierabend mit den Freundinnen noch ein oder zwei (alkoholfreie) Wein(cocktails) schlürfen gehen. Alkoholfrei wenn Frau noch fahren muss oder auf die Ernährung und Gesundheit achtet. Ob alkoholfrei oder mit: Der Genussmoment, die Qualitytime mit Freunden und Familie zählen.
Frauen kaufen m.E. häufiger Anlass bezogen (bspw. Mitbringselweine/Geschenke), achten daher mehr auf die Optik. Was macht sich gut auf dem Tisch oder im Regal. Auch für Storytelling sind Frauen empfänglicher, auch solche Stories, die über Social Media laufen. Frauen haben es meiner Meinung nach zudem generell leichter, sich auch beim Thema Wein auf Empfehlung anderer verlassen zu können; egal ob Freundinnen oder Influencerinnen, denen sie folgen. In der Regel folgen sie den Trends dann früher oder später, probieren es mal aus und bringen es dadurch wiederum in den eigenen Freundeskreis mit ein, da schwappt es dann auf die anderen über und plötzlich sind alle Freundinnen aus dem Kreis „infiziert“, so berichten mir junge Frauen. Das kann man wunderbar in der Kommunikation mit Empfehlungsmarketing nutzen.
Ich habe den Eindruck, Männer springen weniger auf diese below-the-line Kommunikation und Produktplatzierung über Social Media an. Sie möchten eher ihr eigenes (Wein-)Wissen aufbauen oder am besten gleich Weinexperte sein; vertrauen daher eher den Hard Facts wie Namen, Expertenmeinungen oder Medaillen. Wie Jancis Robinson es schon gesagt hat: Bei Männern ist es bei der Weinauswahl wie mit der PS Zahl beim Auto. Die mit Sozialprestige verbundenen Nebenwirkungen des Weintrinkens.
4. Welches Klischee über Frauen und Wein ärgert Sie am meisten?
Vor allem das Klischee, dass Frauen keine Ahnung von Wein und schon gar nicht von der Herstellung haben können. „Weinbau ist ein Handwerk, harte Arbeit und dadurch automatisch Männersache und Frauen trinken eh nur Sekt oder halbtrockenen Rosé, weil sie sich sonst nicht so mit der Materie auskennen.“ Auch: „Eine junge, frisch ausgelernte Winzerin im Dorf übernimmt den elterlichen Betrieb und möchte dann auch noch frischen Wind reinbringen? Da sind wir von Natur aus erstmal skeptisch.“
Ob den Betrieb und die harten Arbeiten im Weinberg und Keller übernehmen oder Verhandlungsgespräche führen – ich habe den Eindruck, so manche Herren nehmen Frau auch heutzutage häufiger immer noch wenig(er) ernst. Dies ungeachtet der Tatsache, dass Frauen in unserer Branche ziemlich auf dem Vormarsch sind. Es gibt genügend Beispiele erfolgreicher und bekannter weiblicher Wein-Persönlichkeiten, Weinfrauen und Unternehmerinnen, die zeigen, dass es geht und wie! Das ist toll! Die Weinwelt wird weiblicher. Und Frauen machen das oft gemeinsam: Es gibt einige spannende Initiativen und Frauennetzwerke in der Weinbranche.
5. Mit welchem Thema werden Sie sich als nächstes intensiver beschäftigen?
Es gibt ein zentrales Thema, das wir verfolgen müssen. Nachhaltigkeit und Klimaneutralität im Weinbau! Als wir an der Hochschule vor 12 Jahren unser Deutsches Institut für nachhaltige Entwicklung gegründet haben, haben uns alle belächelt. Wein sei doch per se nachhaltig, war die vorherrschende Meinung. Mittlerweile haben wohl alle kapiert, dass dem nicht so ist. Jetzt haben alle die Nachhaltigkeit für sich entdeckt und manche sogar selbst erfunden. In dem Zusammenhang wird mich auch weiterhin unser Forschungsthema der letzten Jahre beschäftigen "Pilzwiderstandsfähige Rebsorten im Minimalschnitt".
Ein anderes für mich wichtiges Thema: Wir erreichen die jungen Leute immer noch nicht, so das Ergebnis einer kürzlich vorgestellten Studie von Rheingold. Wie junge Menschen Wein konsumieren, wie ihr Kaufverhalten sich im digitalen Zeitalter ändert und welchen Einfluss Social Media hat, werden wir weiter erforschen müssen.
Auch das Thema Alkohol wird uns beschäftigen. Ob ohne oder weniger – aus Gesundheitsgründen oder einem modernen Lebensstil folgend. Die Alkoholdiskussion bekommen wir nicht mehr vom Tisch; dafür wird schon alleine die Politik sorgen.
Das Interview mit Prof. Dr. Ruth Fleuchaus führte Dr. Anja Zimmer