1. Was ist das Verrückteste, das Ihnen in Ihrem Beruf passiert ist?
Das kommt darauf an, was Sie als verrückt bezeichnen…aber wenn Sie Unverfrorenheit meinen: Mitten in einem Interview (ich interviewte einen Winzer) von einem Mann unterbrochen zu werden – er war sich seiner Wichtigkeit und seines Auftretens so sicher, dass er mich nicht einmal wahrnahm. Oder, bei einem Vortrag irgendwo in Skandinavien setzte sich ein offenbar angetrunkener Journalist in die erste Reihe und schnarchte während meines gesamten Vortrags durch. Mich wundert es immer wieder, wenn Menschen ein solches „Selbstverständnis“ an den Tag legen, oft sind das dann leider Männer einer gewissen Generation.
2. „Sie als Frau…“, war das in Ihrer Karriere ein Thema?
Nein – ich gebe mich nicht so und die Welt begegnet mir nicht so – was nicht bedeutet, dass ich nicht tagtäglich Menschen – und auch das sind leider oft Männer – erlebe, die immer noch glauben, schon per Geburtsrecht Anspruch darauf zu haben, immer gehört und beachtet zu werden. Ich finde das Thema viel unterschwelliger als allgemein angenommen wird. Viele Normen unserer Gesellschaft sind so unterschwellig, dass man sie nicht sofort sieht. Wie auch beim Wein muss man den kritischen Blick erst lernen. Ich empfehle hier einen Blick in das Buch „Invisible Women“ von Caroline Criado Perez oder in „The Authority Gap“ von Mary Ann Sieghart.
Tatsächlich bin ich in meinem Berufsleben nie davon ausgegangen, dass die Welt mir etwas schuldet, ganz im Gegenteil. Mein Weg war und ist von harter und ehrlicher Arbeit und vielen – übrigens selbst finanzierten – Qualifikationen geprägt. Denn ich finde, dass man erst gut sein muss, bevor die Lorbeeren kommen. Das sehen wohl nicht alle so.
3. Wie wichtig ist die Zielgruppe Frauen als Konsumentinnen Ihrer Meinung nach? Gehen Frauen anders mit dem Thema Wein um?
Das will ich nicht nach Geschlecht teilen. Gewiss lassen sich gewisse Marktelemente gewissen Geschlechtern zuweisen, ich entspreche diesen Normen nicht. Warum sollten es andere Frauen tun?
4. Welches Klischee über Frauen und Wein ärgert Sie am meisten?
Ich ärgere mich über zu viel dummes Geschwafel über Wein, egal woher es kommt.
5. Außerhalb der Weinwelt, welches Thema beschäftigt Sie gerade?
Das Jahr 2020 war in vielerlei Hinsicht bewegend, aber für mich sind einige Dinge NOCH klarer geworden, auch geschärft durch die scheußliche politische Situation in Großbritannien. Zwei Sätze definieren für mich das Jahr 2020 und auch unsere Gegenwart: „I can’t breathe.“ von George Floyd im Juni 2020 und „I‘m speaking.“ von Kamala Harris im Oktober 2020. Wie gesagt: Wenn man einmal richtig hinsieht und hinhört, fällt einem so viel auf. Was mich derzeit allerdings ganz in Anspruch nimmt, ist der Aufbau der Marke Falstaff in der englischsprachigen Welt. Eine große Herausforderung und aufregende Aufgabe.
Das Interview mit MW Anne Krebiehl führte Dr. Anja Zimmer