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"Rettet die Apfelsäure!" - Jens Priewe über deutsche Weine
Welche Flasche (deutschen) Wein öffnen Sie als Nächstes?
Elf Flaschen stehen derzeit in meinem Büro, von Elbling Brut über Scheurebe bis zu Lemberger. Müssen alle probiert werden. Welche ich zuerst aufmache, ist eigentlich egal. Oder?
Warum Wein statt Bier?
Ich trinke auch Bier: Wenn das Thermometer draußen über 30°C anzeigt und ich zu dehydrieren drohe. Oder in der jodigen Nordseeluft von Sylt. Oder wenn es Schweinsbraten gibt und das Bier frisch vom Holzfass gezapft wird (was in bestimmten bayerischen Gasthöfen noch vorkommt). Oder zu Matjes. Und wenn ich riesigen Durst habe. Sonst trinke ich Wein. Sogar auf dem Oktoberfest. Warum? Blöde Frage: Weil er besser schmeckt. Mir jedenfalls.
Deutsche Weinerzeuger sind/werden/waren…
...önologisch ungefähr 20 Jahre hinter der Entwicklung in Frankreich und Italien hinterher. Waren kleinkariert, geizig, missgünstig, stur, abweisend, total humorlos und häufig ohne jede Kenntnis dessen, was ausserhalb Deutschlands passiert. Heute sind sie nur noch 10 Jahre hinter unseren Nachbarn zurück. Sind mutiger, neugieriger, experimentierwilliger, lockerer, besser ausgebildet und sogar beweglich geworden: Die Jungen reisen schon mal ins Ausland, um zu gucken, wie die Kollegen es dort machen. Insgeheim sind deutsche Weinerzeuger überzeugt, den besten Wein der Welt zu machen. Dass sie ihn selbst mögen, glaube ich nicht in jedem Fall. Auch nicht, dass sie ihren eigenen Wein immer verstehen.
Aber das wird sich in Zukunft ändern. Sie werden begreifen, dass es in der Welt zwar viele grosse Rotweine, aber wenig grosse Weissweine gibt und dass Deutschland zu den Ländern gehört, die solche Weine hervorbringen können.
Was geht ab in der Gastronomie?
Intelligente Gastronomen begreifen, dass immer mehr Menschen essen gehen, um gut trinken zu können. Flüssige Nahrung wird entsprechend wichtiger. Leider ist Wein immer noch prohibitiv kalkuliert. Das Erfreulichste aus deutscher Sicht ist, dass eine Weinkarte ohne Riesling & Co. nicht mehr geht. Selbst italienische, griechische, spanische Restaurants sehen das immer häufiger ein.
Was Sie schon immer mal über deutsche Weine sagen wollten:
Erstens: Begeisterung ist gut, Hype ist schlecht. Also nicht überschnappen. Zweitens: Vorsicht vor Wein-Chauvinismus. Drittens: Es gibt auch ausserhalb Deutschlands sehr, sehr gute Weine.
Ihr nächstes Thema heißt…
Hm. Muss ich überlegen. Vielleicht eine Kolumne mit der Überschrift: „Warum Winzer, Sommeliers und andere Experten über Wein immer so gnadenlos sachlich reden, als wären sie Ingenieure, die den Otto-Motor beschreiben sollen?“
Nachhaltig, bio, vegan, Naturwein – wie wichtig finden Sie das?
Bio ist Bluff. Ernst zu nehmen sind nur der biologisch-organische und der biodynamische Weinbau. Nachhaltigkeit im Sinne von Energieblanzen, Permakulturen, CO2-Management – da wäre noch einiges zu tun in Deutschland. Naturwein ist für einige Berliner Szenekneipen wichtig, für Journalisten offenbar auch (gemessen an der Häufigkeit, mit der sie darüber schreiben). Der Rest der Welt ist mit Naturwein überfordert.
Ihr letzter Post zum Weinland Deutschland?
„Rettet die Apfelsäure!“
Danke an Jens Priewe. Und hier geht´s zum Portal weinkenner.de
In dieser Interview-Serie erschienen auch: